Hühnermärchen

Hühnermärchen von Lucie Ideler:

In einer dunklen Ecke des großen Hühnerstalles saß die schwarz und weiß gesprenkelte Henne und brütete. Ganz still und ganz fleißig. In einem hübschen Nest von Stroh saß sie, fünfzehn frische, weiße Eier hatte die Hausfrau ihr untergelegt. Alle Tage sah die Glucke nach, ob sich noch nichts in den Schalen regte, aber die Eier blieben hart und glatt. Die Glucke schüttelte den Kopf und setzte sich wieder hin. Eigentlich war es recht langweilig.

Da saß sie nun und zählte die Spinnweben an der Decke. Schlafen konnte sich auch immer. Nur alle Tage kam einmal kam der Hahn auf Besuch und erkundigte sich, wie weit die Sache vorgeschritten sei und ob noch nicht bald kleine Küken da wären. Er stand dann eine Viertelstande an dem Nest und zog ganz tiefsinnig das eine Bein in die Höhe. Aber nutzen konnte er auch nichts und so ging er immer wieder fort.

Einmal kam auch die Hauskatze. Das nahm aber die Frau Glucke übel: „Was hat die Katze sich um mich und meine Kinder zu bekümmern? Wir geht sie doch gar nichts an!“ rief sie zornig. Mit gesträubten Federn- und Schnabelhieben fuhr sie auf die Katze los, dass diese schleunigst das Weite suchte. Sie kam niemals wieder.

Aber an einem schönen Maitage regte es sich unter der Glucke in dem warmen Strohnest. „Piek!“ sagte es, das war die Eierschale, die zerbrach. Aus der Schale kam ein kleinen Hühnchen. Ganz Gelb, mit einem kleinen, braunen Streif über dem Rücken und blanken, schwarzen Augen, die wie kleine Perlen aussahen. Das kroch gleich der Mutter Glucke wieder unter die Flügel, sonst hätte es gefroren.

Aber dann zerbrach eine Eierschale nach der andern. Aus jeder kam ein kleines Hühnchen, bis sie alle fünfzehn da waren. Das war eine Freude.

„Nun kommt!“ sagte die Mama, „Jetzt sollt ihr die Welt kennen lernen.“

Sie ging vorauf und die Kückelchen alle hintendrein. Über die Schwelle des dunklen Stalles auf den großen, hübschen Hof, auf dem warm die Sonne schien. Auch alle Sträucher waren grün, denn es war Sommer. Herr Gott! War die Welt schön! Alle Tiere auf dem ganzen großen Hof kamen herbeigerannt, um die neuen, kleinen Hühnchen zu sehen. Der Hahn schurrte vor Freude mit den Flügeln auf der Erde und der Storch klapperte vom Scheundach herunter! „Sie sind da! Sie sind da!“ Und dann legte er den Kopf mit dem langen Hals weit hinten auf dem Rücken, so konnte er sie am allerbesten betrachten.

Die Glucke stand ganz stolz bei ihren Kindern und sagte: „Alles meine! Kein einziges Ei war schlecht! Lauter gelbe Hühnchen und kein schwarzes darunter. Und so grade sind sie alle gewachsen und jedes hat seine richtigen Beinchen!“

„Lass mal sehen!“ sagte der große Puthahn kollernd, „ja, diese sind wirklich hübsch. Sonst – mitunter sind auch die Eltern sehr eitel auf ihre Kinder. Neulich suchte ich mir einmal mein Nachtquartier in der großen alten Kastanie. Ihr wisst doch, die neben der Kirche steht.“

„Das sollst du ja nicht,“ sagte der Hahn, „du sollst ja des Abends hübsch artig in den Stall kommen, wie wir alle es immer tun.“

„Es passte mir aber nicht!“ antwortete der Puthahn grob und kollerte, er nahm leicht etwas übel und dann konnte er sehr böse werden.

„Das war sehr unartig von dir!“ riefen alle Hühne ringsum, „wenn du nicht ruhig und ordentlich zu Bett gehst.“

Der Puthahn sah sich schon ganz erbost um, aber die Glucke sagte: „Ihm ist nicht zu helfen, er ist groß und alt genug. Wenn ihn draußen des Nachts einmal der Fuchs holt, so ist es seine Schuld, es ist ihm oft genug gesagt. Nun erzähle nur weiter, Puthahn, was hast du denn in der Kastanie erlebt?“

„Ja so,“ sagte der Puthahn, „neben dem großen Zweig, auf dem ich saß, war im Astloch das Nest der alten Eule, die manchmal des Abends spät noch auf den Hof kommt und nach Mäusen sucht.“

„Wir kennen sie!“ riefen die Hühner, „es ist eine gute alte Frau, die uns und unsern Kindern nie etwas tut. Sie ist viel besser als die schändliche Krähe, der Räuber, der stets unsre Küken stehlen und fressen will.“

„Hu! Die Krähe!“ sagte die Glucke besorgt und sah sich um, ob ihre Kinder auch noch alle da wären.

„Nun denkt euch,“ erzählte der Puthahn weiter, „die Eule hat jetzt auch Kinder und als ich am frühen Morgen ausgeschlafen hatte, lies sie mich in ihr Nest gucken, um mir ihre Kleine zu zeigen. Sie fand sie wunderhübsch und wie sahen sie aus! Ganz garstige krumme Schnäbel und solche hässliche blöden Augen, mäusegrau waren sie und dann sagt die Mutter noch, sie sind hübsch!“

Und der Puthahn schlug ein Rad mit seinem Schwanz und wollte sich tot lachen.

„Das verstehst du nicht!“ sagte die Glucke, „eine Mutter hat ihre Kinder immer lieb und wenn sie artig sind und der Mutter gehorchen, dann sind sie auch hübsch, mögen sie aussehen, wie sie wollen und alle Leute mögen und alle Leute mögen sie gern. Nur die Unartigen mag keiner leiden!“ Dabei sah sie den Puthahn so dan, dass der sich sein Teil dabei denken konnte.

„Du hast ganz recht!“ sagte der Vater Hahn, „es ist ein altes Sprichwort: Schönheit vergeht, aber Tugend besteht! Freilich, die Puten sind immer eine dumme Gesellschaft. Nun kommt, Kinder, wir wollen Frühstück essen!“

Der Puthahn kollerte beleidigt hinterher. Aber sie kehrten sich nicht mehr an ihn, sie gingen an der Hundehütte vorbei. In der lag der alte, gute Bello und wedelte mit dem Schwanz, als er die Gesellschaft sah und knurrte freundlich der Glucke zu: „Das hast du aber einmal brav gemacht.“

Dann gingen sie vor das Scheunentor. Da waren eine Menge Körnchen zu finden. Der Vater Hahn hatte einen großen Regenwurm gefangen. Den verteilte er, jedes Kückelchen ein Stückelchen, das war der Braten. Dann besahen sie alle die hübschen, weißen Tauben, die sich am Brunnen wuschen, bis sie ganz fein aussahen. Die Tauben gurrten freundlich und nickten ihnen zu.

Es war wundervoll draußen. Viel, viel schöner als in der alten Eierschale.

„Nun wollen wir alle schlafen, ihr seid müde!“ sagte die Glucke und setzte sich in den warmen Sand, dicht neben der Hundehütte. Bello war ihr guter Freund, der niemals die Hühner jagte, sondern stets manierlich war. Darum mochten ihn auch alle Tiere auf dem Hof leiden.

Sie breitete die Flügel aus und die Küken krochen alle unter und beim Einschlafen dachten sie: „In der Welt ist es schön, aber bei der Mutter ist es doch am allerbesten.“

Die Glucke schlief auch, aber sie hatte einen bösen Traum. Sie träumte, die alte, abscheuliche Krähe, von der die Hühne vorhin gesprochen hatten, wäre da und wollte ihre Kinder stehlen. Erschrocken machte sie die Augen auf und wahrhaftig! Da saß die Krähe schon vor der Hundehütte und unterhandelte mit Bello, der sie nicht vorbeilassen wollte. Sie hatte von dem alten, hohen Birnbaum, auf dem sie immer saß und rundum guckte, gleich die kleinen Hühnchen gesehen und hatte Appetit bekommen.

„Höre, Bello,“ sagte die Krähe, „du könntest mir wirklich eins lassen. Die Glucke hat fünfzehn, ich habe sie vorhin gezählt, wenn sie eins weniger hat, das merkt sie gar nicht.“

Die Glucke hörte das. Sie drückte all ihre Kinder fest an sich, nicht eins wollte sie hergeben und sie horchte mit großer Angst, was Bello wohl sagen würde. Der knurrte aber die Krähe gewaltig an:

„Meinst du, dass darum die gute Hühnermutter so fleißig gebrütet hat, dass du nachher die Küken stehlen kannst? Geh aufs Feld und fang dir Mäuse!“

„Ach! Bello,“ sagte die Krähe ganz kläglich, „sieh mal, du musst auch nicht so hart sein! Das Feld ist grau und die Mäuse sind grau. Meine Augen sind schon schwach, ich kann die Mäuse gar nicht mehr recht genau sehen.“

Das log die Krähe, wie sie da war, sie konnte sehr gut sehen. Aber sie war zu bequem, um Mäuse zu fangen, die sich immer versteckten, wenn sie auf den Acker kam.

„Lass mir ein Hühnchen, guter Hund!“ schmeichelte sie und wollte heimlich an Bello vorbei. Der aber fuhr auf sie zu, dass sie nur so in die Höhe flog. Eine Schwanzfeder hatte er ihr ausgerissen. Scheltend und grimmig flog sie wieder auf ihren Birnbaum.

„Das werde ich dir gedenken!“ schrie sie ihm von oben herab zu. Bello lachte.

„Die kommt vorläufig nicht wieder!“ meinte er und besah die Schwanzfeder, die er ihr ausgerissen hatte.

„Ich bedanke mich auch tausendmal, guter Bello,“ sagte die Glucke vergnügt. Da kam der Hahn.

„Kinder, hab ihr aber lange geschlafen!“ rief er, „ich habe schon immerzu gekräht. Es gibt ein Gewitter, seht doch nur!“

Und richtig! Der ganz Himmel stand voller schwarzer Wolken.

„Rasch nach Hause!“ schrie der Vater Hahn. Aber es war schon zu spät, der Regen brach in dicken Tropfen herunter und damit nur die Kinder nicht alle ertrinken sollten, krochen sie in die Hundehütte zu Bello, der auch ganz freundlich Platz machte.

Stundenlang regnete es. Als es endlich aufhörte, war der schöne Hof ganz nass und schmutzig und die Glucke sagte: „Kommt nach Hause, wir wollen in unsern warmen Stall gehe, heute ist es doch nichts mehr.“

Da machten sie sich auf, aber das war ein schlechtes Wandern. Überall Wasser, die Glucke fand nur einen ganz schmalen Steig, auf dem einer hinter dem andern gehen musste. Zwei kleine, wilde Hähnchen aber kamen vom Wege ab und fielen ins Wasser.

Sie dachten schon, sie müssten ertrinken und fingen in aller Angst an zu flattern, sie flogen auf ein Brettchen, das mitten in einer großen Pfütze schwamm.

„Jetzt sind wir zu Schiff!“ riefen sie, als der Wind das Brettchen weiter trieb, „adieu, Vater und Mutter, jetzt geht es nach Amerika!“

Ein bißchen bange wurde es ihnen doch ums Herz, als das Brett immer lustig fortschwamm. Aber sie wollten tapfer sein und es sich nicht merken lassen. Als das Brett ans Land trieb, war es gerade vor der Hühnerstalltüre.

„Juchhe!“ riefen die Hähnchen, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten und fielen der Mutter um den Hals. Der Vater aber fragte:

„Wie war es denn in Amerika?“

„Nun kommt alle zu Bett,“ sagte die Glucke, morgen ist auch noch ein Tag!“

Das taten sie auch und schliefen sehr schön. Die beiden kleinen Hähnchen vergaßen aber im ganzen Leben nicht, dass sie einmal Wasser gefahren waren und erzählen noch immer von ihrer Seereise.

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Quelle:

Neue Märchen, von Lucie Ideler

Schwabacher´s Verlags-Buchhandlung, Stuttgart, o.J.