Weihnachtsmärchen

Im Himmel bei dem lieben Gott sitzen die Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und nacheinander müssen sie zur Erde hinabsteigen und den Menschen das bringen, was der liebe Gott ihnen für die Erde mitgegeben hat.

Soeben war der Sommer in den Himmel zurückgekommen, er sah staubig und müde aus und seinen leichten Strohhut trug er in der Hand, so heiß war ihm. Das Bouquet Feldblumen, das er vorn im Knopfloch trug, war verblüht und welk. Die Rosen, mit denen er seinen Wanderstab umwickelt hatte, hatten schon alle Blätter verloren.

„Guten Tag! Da bin ich!“ sagte der Sommer und wischte sich seine staubigen Schuhe ab.

„Wie war´s denn auf der Erde?“ fragte der Frühling, der einen Veilchenkranz in den langen, blonden Locken trug und viel zarter aussah, als der braungebrannte Sommer.

„Hübsch war es!“ sagte der Sommer, „sehr hübsch und ich bin sehr fleißig gewesen. Ich habe die Kirschen reif gemacht und das Korn, die Kinder jubelten über die Rosen, die ich ihnen brachte und liefen barfuß über das warme Land. Aber zuletzt wurde ich ihnen doch zu heiß, sie waren schon müde und nun freuen sie sich sehr auf den Herbst, der milder ist, als ich und der ihnen viel Schönes mitbringen soll.“

„Ich packe schon!“ sagte der Herbst lächelnd, „was meint ihr zu diesem Willkommensgeschenk?“ Er zeigte den anderen einen wunderschönen rotbackigen Apfel. „Nicht wahr, der hat doch ebenso rote Backen wie die kleinen Menschenkinder unten auf der Erde, die mich schon ungeduldig erwarten. Seht einmal, was ich alles für die Kinder mitnehme.“ Er machte seine große Kiepe auf und da lagen in vielen langen Reihen übereinander geschichtet gelbe und rote Äpfel und goldgelbe Birnen und blaue Pflaumen, auf denen ordentlich der Duft lag, zuckersüße Weintrauben und Walnüsse und Haselnüsse, viele tauschen Schock.

„Ei!“ sagte der Sommer, „wenn du aber auch so freigebig bist, müssen sie dich wohl gern mögen. Wie werden all die Kinderaugen glänzen, sehen sie diese Schätze für ihre Leckermäulchen.“

„Ich bringe kein Naschwerk!“ sagte der Frühling, „und doch freuen sie die Kinder auf mich am meisten. Wenn das erste Veilchen blüht, wenn der Storch kommt und die Bäume grün werden, dann kann die Mutter die fröhliche Kinderschar nicht mehr im Hause halten. Sie laufen alle hinaus und das kleinste, das noch nicht laufen kann, wackelt hinterdrein und alle rufen: „Hurra! Der Frühling ist da!“ Er lächelte bei diesen Worten und die Frühlingssonne leuchtet ihm ordentlich aus den Augen.

Der Winter hatte bei all diesen Reden ganz stumm und still in einer Ecke gesessen. Nur manchmal zog er seinen weißen Mantel fester um sich und dann stieben die Schneeflocken nur so in die Höhe.

„Der Winter sagt ja gar nichts!“ meinte der Herbst und seine Kiepe, die nun vollgepackt war, auf den Rücken, „mach dich nur immer reisefertig, Alter. Wann ich wieder zurückkomme, mußt du ja auf die Erde hinab, auf dich freuen sich die Menschen freilich nicht, denn du bringst nur Schnee und Kälte.“

Der Winter antwortete noch immer nicht, nur die Eiszapfen an seinem Gewande klirrten leise. Der Sommer sah sich nach ihm um.

„Wahrhaftig! Der Winter weint!“ rief er, „warum bist du denn traurig?“

Und wirklich rannen dem Winter die dicken Tränen über die Backen, bis in den großen, weißen Bart hinein, wo sie gleich fest froren und als Eisperlen glitzerten.

„Ich muss wohl weinen!“ schluchzte er, „ich mag die kleinen Menschenkinder auch gern. Aber auf mich freut sich kein einziges und selten bekomme ich, wenn ich auf der Erde bin, eines zu sehen. Läuft einmal ein vorwitziges Bübchen heraus und will einen Schneemann machen, dann holt es die Mutter wieder herein.

„Es wird kalt und dunkel!“ sagt sie, „und du könntest krank werden.“ Die kleinen Mädchen aber stecken die Hände unter die Schürzen und sagen: „Hu! Der Winter!“ Muss ich da nicht betrübt sein?“

„Eigentlich hast du recht,“ sagte der Sommer mitleidig, „und das ist ganz jämmerlich für dich.“

Da ging der liebe Gott gerade durch den Himmel. Der sah des Winters Betrübnis und sagte sogleich: „Im Himmel darf aber keiner weinen. Ich will dich trösten, Winter, und will dir das Allerherrlichste schenken, dass sich fortan alle Kinder auch auf dich freuen soll. Ich schenke den Menschen meinen Sohn und du sollst ihn der Erde bringen.“

Da gab der Herrgott dem Winter ein Kripplein in die Hand. Darin lag das Christkindlein. Das strahlte einen solchen Glanz und ein solches Licht aus, dass die dunkelste Winternacht und das finsterste Menschenherz hell wurden bis in die fernste Ecke. Die Engel sangen und riefen „Halleluja!“

Ganz selig vor Freude staunte der Winter dies schönste Geschenk des lieben Gottes an. Als der Herbst mit den letzten gelben Blättern am Kleide, verregnet und müde, von der Erde zurückkam, nahm der Winter die Krippe mit den Christkindlein in seinen großen Mantel und reiste hinunter auf die Welt.

Blumen blühten freilich nicht mehr. Wohin er kam, streute er Eis und Schnee um sich herum, bis die letzten Blätter erfroren und die Bäume waren alle kahl.

„Aber einen grünen Baum muss doch das Christkindlein zu seinem Geburtstag haben!“ dachte der Winter, der wohl rauh und kalt von außen war und es doch so herzlich gut meinte. Er ging in den Wald, wo die dunkelgrünen Tannen ganz dicht standen und brach die schönste ab. Und im Himmel hatte er sich von seinen drei Freunden aus ihrem Schatz das Allerschönste geben lassen. Vom Frühling die zarten Blüten und vom Sommer Rosen und der Herbst schenkte ihm rotbackige Äpfel und große, schöne Nüsse. Die lieben Engel aber holten kleine goldenen Sterne vom Himmel und gaben sie dem Winter mit. Mit allen diesen Gaben schmückte er nun den schönen grünen Tannenbaum und die Sterne wurden zu hellen Lichtern, die wundervoll brannten und glänzten.

Als nun der Winter mit aller Ausrüstung fertig war, ging er von Haus zu Haus und klopfte an jede Tür. Er stellte den Weihnachtsaum mit den brennenden Lichtern auf den Tisch und legte ganz leise das Gotteskind in der Krippe darunter. Wohin er kam, war Jubel und Freude, die großen Menschen falteten die Hände und die Kinder jauchzten: „O Mutter, sieh doch, der Winter bringt uns ja das Allerschönste!“

Die Glocken klangen, die Englein sangen und Freude war im Himmel und auf Erden. Alle Kinder aber zählen seitdem die Stunden, bis wieder Weihnachten kommt. Wenn der Frühling auch noch so schön blüht, der Sommer Kirchen und Rosen schenkt und der Herbst alle kleinen Hände mit Äpfeln füllt, so warten die Kinder doch schon auf den Winter und sagen: „Ja, aber dann ist Weihnachten!“ und wenn der Winter im Himmel sitzt und das hört, dann streicht er sich vergnügt den langen weißen Bart und bedankt sich jedes mal bei dem lieben Gott, dass er ihm das Christkindlein geschenkt hat, so dass sich alle Kinder auf ihn freuen, wenn er wiederkommt.

 

Quelle: Weihnachtsmärchen

Neue Märchen, von Lucie Ideler
Schwabachersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, ohne Jahr