Falkenstein

Hinter dem obstreichen Kronenberg, nicht weit vom Altkönig, sieht man, auf einer Felsenspitze, die einsamen Mauern von Falkenstein. Stille Trauer schwebt über den Ruinen, welche jetzt die Steindrossel bewohnt. Die Burg war, in alter Zeit, fast unzugänglich und nur ein einziger, jäher und schmaler Fußpfad führt an das äußerste Tor derselben. Damals wohnte hier ein Ritter von düsterm Sinn und rauher Gemütsart. Er hatte eine einzige Tochter, die schön war und leutselig und wenn man den Vater dem unwirtlichen Fels der Wüste vergleichen konnte, so erschien sie wie der Stern des Abends, der über dem öden Gestein schimmert. Wer die holde Irmengard gesehen hatte, dem ging das Herz auf in Vertrauen und Liebe. Dies widerfuhr auch dem jungen Ritter Kuno von Sayn, den einmal ein Geschäft auf die Burg Falkenstein führte. Ihr freundliches Auge und ihre freundlichen Worte steckten schnell sein Herz in Brand und als er wieder aus dem Burgtor ging, sagte er zu sich selbst: Ich will um ihre Hand werben.

In dieser Absicht machte er, nach einigen Tagen, einen zweiten Besuch auf Falkenstein. Der Burgherr empfing ihn ziemlich kalt. Sie standen miteinander in einem Bogenfenster und sahen hinaus in die weite, herrliche Gegend. – „Keine Burg liegt so schön, wie die Eurige,“ sagte Kuno, „aber der Weg herauf ist gar zu beschwerlich.“

„Es hat Euch doch niemand gezwungen, ihn zu gehen,“ versetzte der alte Falkensteiner, etwas spitz.

„Wohl hat mein Herz mich gezwungen,“ erwiderte Kuno. „Eure Irmengard gefällt mir und ich bin gekommen, ihre Hand von Euch zu begeheren.“

Der alte lächelte und das war an ihm ein schlimmes Zeichen. – „Herr Kuno,“ sagte er nach einigem Stillschweigen, „Ihr sollt meine Tochter haben, jedoch unter einer Bedingung.“

„Ich gehe sie im Voraus ein,“ rief der verliebte Jüngling.

„Wohlan,“ sagte der Ritter von Falkenstein, „so lasst einen bequem Weg in diesen Felsen hauen, damit man künftig zu Ross auf meine Burg kommen könne. Aber in einer Nacht muss dieser Felsenweg gemacht werden, hört Ihr´s?“

Kuno stutze – der alte schmunzelte, fast etwas teuflisch; und sie schieden, eben nicht traulich, von einander.

Aber der Ritter von Sayn war verliebt und darum schien es ihm nicht unmöglich, das Wagestück auszuführen.

Er ging alsbald in sein Bergwerk und rief dort seinen alten, treuen Steiger und trug diesem den Fall vor. Der aber schüttelte den Kopf und sagte: „Ich kenne das verwünschte Felsennest und wenn Ihr dreihundert Bergknappen hinstellt, so bringen sie das Werk nicht in sechs Nächten zu Stande, geschweige denn in einer.“

Kuno setzte sich in traurigen Gedanken am Eingang des Schachtes nieder und saß noch da, als schon der Abendnebel auf den Waldwiesen emporstieg. Indem er, zufällig, die Augen erhob, sah er ein kleines, altes Männchen vor sich stehen, mit weißem Haar und Bart.

„Ritter von Sayn,“ sagte das Männchen, „ich habe wohl gehört, was Du mit Deinem Steiger gesprochen. Das ist ein ehrlicher Mann, aber das Handwerk versteh´ ich besser.“

„Wer bist Du?“

„Deinesgleichen nennen mich und meinesgleichen Kobolde und Berggeister, aber auf den Namen kommt´s nicht an. Ein wenig lustiger und behender sind wir, als die Menschen, das kann nicht geleugnet werden, und es wäre uns ein Kinderspiel, den Felsenweg auf die Burg Falkenstein in einer Stunde zu machen.“

„Wenn Du das könntest und wolltest -“

„Ich kann und will es,“ fiel das graue Männchen ein, „gegen eine Erkenntlichkeit, versteht sich. – Lass Deine St. Margarethengrube hier abhütten, denn wenn Deine Leute weiter durchfahren, so kommen sie in mein Gebiet und ich muss mit den Meinigen den Berg verlassen. Du sollst dabei nicht verkürzt werden, das Gebiet dort zur Linken ist reichhaltig. Ich will Dir eine Rute geben, womit du die Gänge finden magst. Sie streichen vom Abend in den Morgen, wir Berggeister aber wohnen überall in die Mitternacht hinein.“

Kuno beteuerte, er würde alle Gold- und Silbergruben der Erde um die schöne Irmengard geben und das graue Männchen versprach ihm die Erfüllung seines Wunsches auf den nächsten Morgen.

Der Ritter ging jetzt recht wohlgemut nach Hause, aber auf der Burg Falkenstein saß die holde Irmengard gar traurig am Fenster, denn ihr Vater hatte ihr erzählt, wie der Ritter von Sayn um sie angehalten und welche Bedingung er ihm gemacht. Es war schon spät in der Nacht und noch wollte kein Schlaf in ihre Augen kommen. Die Glocke schlug elf – da mit Einem glaubte sie das Geklirr und Geräusch von Brecheisen, Spaten und Hacken zu vernehmen – ein freudiges Zittern ergriff sie, allen sie hatte nicht den Wunsch, aus dem Fenster zu sehen.

Ihr Vater trat jetzt ins Gemach, das Getöse hatte ihn aus dem Schlafe geweckt. – „Ich glaube der Herr Ritter von Sayn ist toll geworden,“ sagte er, „und hat mir meinen Felsenpfad zu Schanden, dass wir künftig uns in Körben auf und ablassen müssen.“ – Mit diesen Worten öffnete er ein Fenster – da erhob sich draußen eine mächtige Windsbraut, alle Wipfel des Forsts schüttelten ihre Häupter, Türen und Fenster flogen klirrend auf und ein zischendes Gelächter hallte durch die Luft. Irmengard schmiegte sich ängstlich an ihren Vater, der sich bekreuzte und einen Psalm zu beten anfing. Aber bald wurde es wieder stille und kein Geräusch war mehr zu hören, kein Lüftchen regte sich im Gehölz um die Burg.

Jetzt atmete der alte Ritter wieder etwas freier und suchte seine Tochter und sich selbst zu beruhigen. Er versicherte hoch und teuer, es sei der wilde Jäger gewesen, der da vorübergegangen und er habe ihn manchmal in seiner Jugend auf eben diese Weise gehört. Irmengard glaubte ihrem Vater und hatte weiter keine Furcht mehr, dem Alten aber blieb es noch unheimlich zu Mute, denn sein Gewissen war nicht so rein, wie das Gewissen seiner Tochter und erst als die Vögel im Morgengrau zu zwitschern anfingen, schlummerte er in seinem Armsessel ein.

Die Sonne warf kaum die ersten Strahlen auf den Burghof, als der Ritter von Sayn auf einem stolzen Rotschimmel über die Zugbrücke sprengte. Den alten Burgherrn weckte das Getrappel und Gewieher des Rosses. Er fuhr bestürzt auf und eilte ans Fenster und sein erster Gedanke war, der Reiter, den er in seinem Hof erblickte, müsse durch die Luft gekommen sein. Kuno bot ihm einen guten Morgen und setzte lachend hinzu: „Jetzt reitet sich´s bequem zu Euch herauf, Herr von Falkenstein!“ – Der Alte wusste noch immer nicht, ob er wache oder träume, denn er gewahrte jetzt auch, aus seinem Fenster, einen Teil des neuen breiten Wegs, der im Zickzack in den Felsen gehauen war. – Kuno ging zu ihm in den Burgsaal, wo sich eben auch die schöne Irmengard eingefunden hatte und erzählte, wie alles zugegangen war. –

Ich will Wort halten, sagte der Falkensteiner, dem es bei diesem Bericht etwas leichter ums Herz wurde, ich will Wort halten und damit legte er die Hand seiner Tochter in die Hand des Ritters.

Noch jetzt führt der Weg, den die Berggeister gebaut, zu den Ruinen der Burg Falkenstein und das umwohnende Volk nennt ihn den Teufelsweg.

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