Die zehn Feen

Die zehn Feen ist ein Märchen aus Märchen und Erzählungen für Anfänger.

Das Märchen: Die zehn Feen

Vor langen Jahren wohnte ein Bauer und seine Frau auf einem schönen Gute in Norddeutschland. Das Paar war so arbeitsam, dass sie bald sehr reich wurden. Da sie nur eine einzige Tochter hatten, ließen sie dem Mädchen alle Freiheit und sie arbeitete sehr wenig. Sie ging zwar regelmäßig in die Schule und lernte viel, aber die Hausarbeit war ihr immer zuwider und sie wusste sehr wenig davon.

Das Mädchen, welches Elsa hieß, war so schön und so munter, dass es bald viele Freier hatte. Als es zwanzig Jahre alt war, heiratete es einen reichen, jungen Bauer, den es von ganzem Herzen liebte.

Das jung Weib kam in das große Bauernhaus, wo viele Knechte und Mädchen es erwarteten. Da die Mutter ihres Mannes eine sehr tüchtige Hausfrau gewesen war, dachten sie alle, dass die neue Herrin die Hausarbeit übernehmen und ihnen alle nötigen Befehle austeilen würde.

Natürlicherweise versuchte die junge Frau dies alles zu tun. Aber da sie sehr unerfahren war und gar nicht an die Arbeit gewöhnt, wurde sie bald sehr müde. Während der Flitterwochen weinte sie sehr viel. Ihr Mann, dessen Mutter immer früh und spät gearbeitet hatte und die ihrem Haut gut obgewaltet, wurde oft ungeduldig, als er das unordentliche Haus sah, kein Essen bereit und die Mägde und Knechte umher schlendern sah.

Eines Tages, nachdem sie schon mehrere Monate verheiratet gewesen waren, verließ er murrend das Haus, Elsa zurufend, dass es keine Wunder sei. Alles sei so unordentlich, wenn sie so tagelang mit den Händen im Schoß sitze!

Elsa weinte bitterlich, nachdem er fortgegangen war. Sie dachte, dass es doch schade sei, dass sie so unwissend wäre. Sie sei zu Hause so verwöhnt gewesen, dass sie jetzt keine gute Hausfrau wäre und ihren Mann so unglücklich machte.

„Ach,“ seufzte sie, „hätte ich nur zehn kleine Feen, die mir willig dienten, dann würde ich die Arbeit fertig bringen können!“

Diese Worte waren kaum heraus, da stand ein großer Mann, in einen grauen Mantel gehüllt, vor ihr und fragte wohlwollend:

„Nun, mein Kind, was haben Sie? Warum weinen Sie so bitterlich?“

„Ich weine, weil mein Mann nicht zufrieden ist. Ich kann die Hausarbeit nicht besorgen. Ich kann weder die Mägde und Knechte leiten, noch alles in Ordnung halten. Wenn ich nur zehn Feen da hätte, vielleicht ginge es mir besser.“

„Nun,“ antwortete der stattliche Mann, „zehn Feen sollen Sie haben!“

Er schüttelte seinen Mantel aus und zehn Feen sprangen auf den Boden und standen dienstfertig vor ihrer neuen Herrin.

„Da,“ sagte der alte Herr, „da sind Ihre neuen Diener. Sie sind treu und sehr fleißig und sie werden Ihnen die Hausarbeit erleichtern. Aber da alle Leute sich sehr wundern würden, wenn sie diese kleinen Feen herumhantieren sähen, so will ich sie verstecken, damit sie niemand sehen kann. Strecken Sie Ihre Hände aus, kleine Frau.“

Elsa streckte ihre kleinen, weißen, untätigen Hände aus und der Mann rührte jeden Finger an und sagte: „Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, Kleiner Finger. Feen, nehmt alle eure Plätze darin!“

Denselben Augenblick sprangen alle zehn kleine Feen auf Elsas Schoß und versteckten sich schnell in ihre zehn Finger.

Der alte Mann mit dem weiten Mantel verschwand auch und die erstaunte Frau blieb ganz allein. Sie sah ihre Finger verwundert an. Aber bald regten sich ihre Finger ungeduldig. Die darin versteckten kleine Feen waren nicht gewöhnt, träge still zu liegen. Von ihnen aus ihre ihrer Träumerei geweckt, sprang die junge Frau auf und machte sich an die Arbeit.

Ihren Hände waren jetzt so flink, ihre Finger so geschickt, dass die Arbeit lustig herging. Als Mägde und Knechte die Hausfrau so fleißig arbeiten sahen, schämten sie sich ihrer Trägheit und arbeiteten auch wieder fleißig wie zuvor.

Das Haus wurde bald ein Musterhaus und der junge Hausherr sagte oft stolz:

„Meine Mutter und meine Schwiegermutter waren bei tüchtige Hausfrauen, aber meine Frau kann alles noch besser und schneller tun. Man könnte behaupten, dass sie ebenso viele flinke Diener, als Finger hätte!“

Die schöne und glückliche Elsa lächelte oft, als sie ihn dieses sagen hörte. Denn sie hatte niemand anvertraut, dass sie zehn geschickte, kleine Feen in ihren Fingern versteckt hatte.

Elsa hatte viele Kinder und man sagt, dass ihre Töchter die kleinen Diener erbten, denn sie waren auch fleißig und arbeitsam und man rühmte ihre flinken Finger überall.


Quelle: Märchen und Erzählungen für Anfänger, H. A. Guerber
D. C. Heath & Co., Publishers, 1909