Die Schöpfung des Bodensee´s

Die Schöpfung des Bodensee´s

Als Gott der Herr die dunklen Kräfte
Der werdenden Natur erregt,
Und zu dem schöpfrischen Geschäfte
Das Wasser und den Grund bewegt:
Und als sich nun die Tiefen senkten,
Die Berge rückten auf den Platz,
Die Ebnen sich mit Bächen tränkten,
In See´n sich schloss der Wasser Schatz:

Da schuf sich auch die Riesenkette
Der Alpen ihrer Täler Schoos,
Da brach der Strom im Felsenbette
Aus seinem Eispalaste los.
Er trat heraus mit freud´gem Schrecken,
Er wallet hell ins offne Land,
Und ruht in einem tiefen Becken
Als blauer See mit breitem Rand.

Und fort von Gottes Geist getrieben
Wogt er hinab zum jungen Meer,
Doch ist sein Ruhesitz geblieben,
Und Wälder grünen um ihn her;
Und über ihm hochausgebreitet
Spannt sich der heitern Lüfte Zelt,
Es spiegelt sich, indem sie schreitet,
Die Sonn´ in ihm, des Himmels Held.

Und wie nun auf den weiten Auen
Des ersten Sabbats Ruhe schlief,
Ließ sich der Bote Gottes schauen
Im lichten Wolkenkranz und rief.
Da scholl gleich donnernden Posaunen
Des Engels Stimme durch den Ort,
Es horchten Erd´ und Flut mit Staunen,
Und sie vernahmen Gottes Wort:

„Gesegnet bist du, stille Fläche,
Vor vielem Land und vielem Meer!
Ja rieselt fröhlich nur, ihr Bäche,
Ja ströme, Fluss, nur stolz einher!
Ihr hüllet euch in einen Spiegel,
Der großen Bilder bald vereint,
Wenn Einer, der der Allmacht Siegel
Trägt auf der Stirn – der Mensch, erscheint.

Erst lebt ein dumpf Geschlecht, vergessen
Sein selbst, im Wald mit dem Tier;
Dann herrscht ein Fremdling stolz, vermessen,
Ein Sieger mit dem Schwerte hier;
Er zimmert sich den Wald zu Schiffen,
Eröffnet Straßen, baut ein Haus;
Dann hat ihn Gottes Hand ergriffen,
Und Schleudert ihn zum Land hinaus.

Und führt den Stamm mit goldnen Haaren,
Mit blauem Aug´ ans Ufer her;
Er hat noch Nichts vom Herrn erfahren,
Seit Gott ist Eiche, Fluss und Meer;
Doch schläft im tüchigen Gemüte
Noch unerweckt des Ew´gen Bild,
Ein Strom der höchsten Kraft und Güte
In seinen vollen Adern quillt.

Der Himmel wird ihm Boten senden,
Die sagen ihm von Gottes Sohn,
Die bauen mit getreuen Händen
In dichten Wäldern seinen Thron.
Dort wird das Licht des Geistes leuchten,
Von dorther der Erkenntnis Quell
Der Erde weites Land befeuchten,
Dort bleibt´s in diesem Dunkel hell.

Dann werden sich die Haine lichten,
Wie sich der Menschen Herz erhellt,
Dann prangt ein Kranz von goldnen Früchten
Um dich, du segensreiches Feld!
Die Rebe streckt ihre Ranken
In deinen hellen See hinein,
Und schwer beladne Schiffe schwanken
In reicher Städte Hafen ein.

Und Die des Höchsten Krone tragen,
Statthalter seiner Königsmacht –
An diesen Ufern aufgeschlagen,
Sonnt oft sich ihres Hofes Pracht.
Und Völker kommen aus dem Norden
Und aus dem Süden, See, zu dir;
Du bis das Herz der Welt geworden,
O Land und aller Völker Zier!

Drum sind wir Sänger auch gegeben,
Zwei Chöre, die mit deinem Lob
Die warme Frühlingsluft durchbeben,
Wie keiner je sein Land erhob:
Das eine sind die Nachtigallen,
Auf Wipfeln jubelt ihr Gesang,
Das andre sind in hohen Hallen
Die Ritter mit dem Harfenklang.

Wohl ahnst du deinen Ruhm, du wallest
Mit hochgehobner Brust, o See!
Doch dass du dir nicht selbst gefallest,
Vernimm auch deine Schmach, den Weh!
Es spiegeln sich die Scheiterhaufen
Der Märtyrer in deiner Flut,
Und deine grünen Ufer traufen
Von lang vergossenem Bürgerblut.

Sei nur getrost! du blühest wieder,
Du wischest ab die Spur der Schmach,
Und große Sagen, süße Lieder,
Sie tönen am Gestade nach.
Zwar dich verlässt die Weltgeschichte
Sie hält nicht mehr an deinem Strand
Mit Schwert und Wage Weltgerichte,
Doch still genügen wohnt am Rand.

Der Hauch des Herrn treibt deine Boote,
Dein Netz soll von von Fischen sein,
Dein Volk nährt sich von eignem Brote,
Und trinkt den selbst gepflanzten Wein.
Und unter deinen Apfelbäumen
Wird ein vergnügt Geschlecht im Glück
Von seinen alten Ruhme träumen;
Wohl an, vollende dein Geschick!“

Der Engel sprach´s, der Sabbat endet,
Der Schöpfung Werktag hebt sich an,
Es rauscht der See, die Sonne wendet
Ihr Antlitz ab, die Wolken nahn:
Die Stürme wühlen aus den Schlünden
Den trüben Schlamm ans Licht herauf,
Der Strom hat Mühe, sich zu münden,
Und sucht durch trägen Sumpf den Lauf.

Doch webt und wirft im innern Grunde
Der schwer arbeitenden Natur
Das Wort aus Ihrer Schöpfers Munde,
Sie folgt der vorgeschriebnen Spur.
Von Licht verklärt, von Nacht verhüllet,
Sein bleibt das Wasser, sein das Land,
Und was verheißen ward, erfüllet
Der Zeiten Gang auf Flut und Strand.

(Gustav Schwab)

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Quelle:
Badisches Sagenbuch, Band 1
Verlag von Creuzbauer und Kasper, Karlsruhe, 1846