An der östlichen Spitze des Hakelwaldes stehen noch heutzutage die düstern Trümmer der Dummburg. Wenn die alten Mauern, die jeder Zerstörung und selbst dem sicher nagenden Zahne der Zeit trotzten, reden könnten, sie würden uns von manchem schauerlichen Ereignis erzählen können dessen Zeugen sie waren. Denn in uralten Zeiten wurde die Dummburg von Raubrittern bewohnt, welche, gleich blutgierigen Tigern, in ihrem Schlupfwinkel auf Beute lauerten und wenn ein reich beladener Frachtwagen oder auch nur ein einsamer Wandersmann vorüberzog, mit geschwungenen Waffen hervorstürzten, um zu morden und zu rauben. Lange Jahre trieben sie ihr Wesen ungestört. Die Leichname der Erschlagenen warfen sie in tiefe Zisternen; ihre Schätze häuften sie in einem sorgsamen verwahrten und verborgenen Keller auf. Dort sollen sie noch liegen, denn die Rache des Himmels traf die Raubritter so plötzlich, dass sie sich um die zusammen gestohlenen Reichtümer nicht mehr bekümmern konnten. Sie fielen sämtlich unter den Schwerthieben der Fürsten und Herren, welche auf Befehl des Kaisers ausgezogen waren, das schändliche Raubnest zu zerstören.
Wenn die Sonne untergegangen ist, sollen, wie die Sage berichtet, in den düsteren Trümmern die Geister der Mörder und Erschlagenen ihr Spiel treiben und der einsame Wanderer, welche die Ruinen betritt, vernimmt aus der Tiefe der Erde Kettengeklirr und die Seufzer der armen Gefangenen, welche einst dort unten in die schrecklichen Verliese geworfen und noch immer ihrer Erlösung harren.
Eines Tages erstieg ein armer Holzhauer den Berg, auf welchem die Trümmer der Burg liegen, um in der Nähe derselben eine uralte Buche zu fällen. Als er auf der Höhe ankam und sich umschaute, erblickte er plötzlich einen Mönch mit grauen Locken und grauem Bart, der geradewegs auf die Ruinen zuschritt und notwendiger Weise an ihm vorbeikommen musste. Im ersten Schrecken über die seltsame Erscheinung verbarg sich der arme Holzfäller hinter einem dicken Baumstamm, um nicht gesehen und angeredet zu werden. Gleich darauf aber fasste er frischen Mut und beschloss, leise hinter dem Mönch her zu gehen, um sich zu überzeugen, wohin er wohl seine Schritte lenken würde. Der Mönch wandelte an dem Baum, an dem der Holzhauer versteckt war, vorüber, ohne den letzteren zu bemerken, ging dann langsamen Schrittes auf die Ruinen zu und verschwand hinter den altersgrauen Mauern und zwischen den Felstrümmern, die regellos zerstreut auf dem Berg umher liegen. Leise wie eine Katze und gewandt wie eine Schlange huschte der Holzfäller dem Mönch nach und sah mit leiblichen Augen, dass derselbe vor eine Pforte stehen blieb, welche jemals gesehen zu haben der arme Teufel sich nicht erinnern konnte. Der Mönch klopfte dreimal leise und rief sodann mit lauter Stimme:
„Türlein, öffne dich!“
Ohne Geräusch sprang die Pforte auf, der Mönch schritt hinein in einen engen Gang und der Holzfäller hörte ihn noch die Worte sagen: „Türlein, schließe dich!“ Darauf bewegte sich die Pforte abermals in ihren Angeln und schloss sich ebenso geräuschlos, als sie sich vorher geöffnet hatte.
Kopfschüttelnd trat der arme Holzfäller jetzt näher und betrachtete die Tür. Sie war von Eisen und er wagte es, daran zu rütteln. Aber sie bewegte sich auch nicht im Mindesten, sondern schien mit dem Felsen, in eingelassen war, aus einem Stück zu bestehen. Auch bemerkte der Holzfäller nirgends ein Schlüsselloch oder eine Klinke; er sah Nichts, als eine glatte, eiserne Tafel, die völlig unbeweglich schien. Gern hätte er das Geheimnis noch näher erforscht und verspürte sogar Lust, den Zauberspruch: „Türlein, öffne dich!“ auszusprechen, nur um zu sehen, ob er bei ihm von gleicher Wirkung sein möchte, wie bei dem Mönche. Aber ein tiefes Grauen hinderte ihn daran, diesen Vorsatz auszuführen und er begnügte sich daher, einstweilen den Weg nach der geheimnisvollen Pforte durch kreuzweise gelegte Baumzweige und durch große Steine zu kennzeichnen. Als er dies getan hatte, erfasste ihn eine große Furcht und es litt ihn nicht länger auf der gespenstischen Stätte. Selbst die Buche zu fällen vergaß er, obgleich er nur deshalb die Höhe erstiegen hatte und zitternd vor Angst eilte er den Berg hinab und seinem Häuschen zu.
Am nächsten Tage, es war gerade ein Sonntag, gedachte der arme Holzfäller seines gestrigen Abenteuers und schalt sich selbst einen Toren und Feigling, da er doch so recht um nichts und wieder nichts das Hasenpanier ergriffen hatte.
„Was konnte mir denn der Mönch anhaben?“ dachte er. „Er ist ein Mann, wie ich auch und selbst wenn er ein Geist wäre, würde er deshalb keine Gewalt über mich haben. Ich gehe hinauf und spreche das Zauberwörtlein aus, mag daraus werden, was da will. Wer weiß, was für schöne Dinge hinter dem eisernen Türlein stecken! Unnützen Tand wird man nicht so sorgfältig verwahren und finde ich etwas Rechtes, so kommt es meiner armen Frau und unsern acht hungrigen Kinderchen trefflich zu Statten. Denen zu Liebe will ich das Wagstück unternehmen; der liebe Gott ist ja überall und wird mich behüten, wenn mir Gefahr drohen sollte!“
Dies dachte der arme Holzfäller und blickte mit inniger Liebe auf seine acht Kinder, die sanft schlafend in ihren Betten lagen und gewiss nur Liebes und Gutes träumten; denn sie lächelten Alle und atmeten ruhig und sanft. Der Vater drückte Jedem einen Kuss auf die Stirn, nahm darauf seine Axt zur Hand und schritt entschlossen den Hügel zu den Trümmern der Dummburg hinan. Bald erreichte er den Gipfel des Berges, fand mit leichter Mühe die Zeichen, welche er gestern auf den Weg gelegt hatte und schritt mit mutigem Sinne auf das Türchen los, welches er noch richtig an Ort und Stelle fand. Als er es erblickte, wollte schon wieder die frühere Zaghaftigkeit über ihn kommen. Doch ermannt er sich, dachte an Weib und Kinder und dass er doch nichts Unrechtes tun wolle, empfahl sich der Gnade des Herrn und sprach entschlossen die Worte aus: „Türlein, öffne dich!“
Aber siehe da, die Pforte blieb verschlossen und gehorchte seinem Befehle nicht. Missmutig blickte er sie an und wollte schon unverrichteter Sache wieder davon gehen, als er ich noch rechter Zeit erinnerte, dass ja der Mönch, bevor er gesprochen, dreimal an die Türe gepocht hatte.
„Das willst du doch auch noch versuchen,“ murmelte er vor sich hin und ging ohne Säumen ans Werk.
Als sein Finger das Eisen berührte, gab es jedes mal einen leisen, aber hellen und lieblichen Klang und nachdem er hierauf sagte: „Türlein, öffne dich!“ da sah er zu seiner Freude, dass die Pforte sich langsam von den Felsen ablöste und ihm den Eingang in einen niedrigen schmalen Gang eröffnete. Mutig trat er hinein, schritt sicheren Fußes vorwärts und gelangte bald in ein hohes, geräumiges und helles Gewölbe. Hier erst erinnerte er sich, dass er ja die Pforte offen gelassen habe, sagte: „Türlein, schließe dich!“ und bemerkte, wie die Pforte zuklappte. Nun erst sah er sich in dem Gewölbe um und bemerkte da Dinge, wie er sie in seinem Leben noch nicht geschaut hatte. Ringsum an den Wänden standen große offene Fässer und Säcke, von oben bis unten mit harten Talern und glänzenden Goldstücken angefüllt. Dazwischen standen goldene Schmuckkästchen mit Perlen und Juwelen, die einen Glanz ausstrahlten, dass sie beinahe das Auge blendeten. Auf silbernen Tischlein funkelten köstliche Goldene und silberne Gefäße und in den Ecken des Gewölbes waren ganze Haufen blinkender Guldenstücke aufgehäuft. Dem armen Holzfäller gingen beim Anschauen von all´ der Pracht beinahe die Augen über.
„Ach, mein Gott,“ sagte er und faltete die Hände, „ach, mein Gotte, wenn ich von all´ den Herrlichkeiten nur den kleinsten Teil nehmen dürfte! Dann wäre mir und meiner Familie geholfen, wir hätten alle Tage satt zu essen und meine armen Kinder brauchten nicht in zerrissenen und zerlumpten Kleidern einherzugehen. Ach, wer nur ein einziges Mal in die Säcke und Kisten hineingreifen dürfte!“
„Nimm, so viel Du willst!“ ertönte plötzlich eine Stimme.
Der arme Holzfäller wusste nicht, woher sie kam und erschrack so heftig, dass er am ganzen Leibe zitterte und sogar seine Axt aus der Hand fallen ließ. Er fürchtete sich so sehr, dass er ohne Zögern davon gelaufen sein würde, wenn er sich im Augenblicke auf das Zauberwort, welches die Türe öffnete, hätte besinnen können. So aber musste er notgedrungen in dem Gewölbe bleiben und zwar zu seinen eigenen Heil. Denn da er nun bemerkte, dass kein Wesen, weder ein menschliches, noch ein überirdisches, ihm ein Leid zufügte, fasste er von Neuem frischen Mut und freute sich endlich wie ein König, die Erlaubnis zum Zugreifen empfangen zu haben. Zögernd nahm er ersten ein paar harte Taler und Goldstücke aus den Säcken und Fässern und ließ sie in seine Tasche gleiten. Niemand hinderte ihn in seinem Beginnen und mutig schritt er nun auch zu den Juwelenkästen und fügte den Goldstücken ein Hand voll Diamanten und Rubinen hinzu. Dann, damit er von allem etwas hätte, steckte er auch ein halbe Metze voll Guldenstücke zu sich und meinte nun, für seine ganze Lebenszeit genug zu haben.
„Willst nun nach Hause gehen!“, sagte er zu sich selbst. „Wenn du zu viel nimmst, so bekommt es dir am Ende schlecht und der unsichtbare Besitzer all´ der Schätze wirft dich wohl gar zur Türe hinaus! Ach, wie wird sich die Frau, wie erden sich die Kinder freuen, wenn ich als ein steinreicher Mann zu ihnen zurückkehre!“
Der Gedanke an die Freude der Seinigen trieb ihn noch mehr, als die Furcht vor einem Unheil, das ihn etwa noch treffen könnte, zur Eile an. Er bedankte sich bei seinem unsichtbaren Wohltäter und eilte dann der Pforte zu, um zu öffnen. Ehe er sie aber erreichte, vernahm er wieder die vorige Stimme, welche ihm zurief: „Du darfst wiederkehren und noch mehr holen!“
„Ei, das will ich wohl tun, wenn Ihr es erlaubt, gnädiger Herr, den ich nicht sehe!“ erwiderte der Holzfäller, sprach sodann sein „Türlein, öffne dich!“ aus und eilte, nachdem die Pforte wieder geschlossen war, mit beflügelten Schritten in sein Häuschen, wo seine guten Neuigkeiten und seine Schätze natürlich mit großem Jubel aufgenommen wurden.
Am nächsten Tage schritt der Holzfäller wiederum in die alten Ruinen hinauf, holte sich von neuem alle Taschen voll Gold- und Silberstücke und setzte das ein Wochen hindurch fort, bis er endlich einen großmächtigen Haufen Geldes beisammen hatte.
„Frau,“ sagte er zu seinem Weibe, „nun müssen wir doch einmal daran denken, das viele Geld zu zählen, damit wir doch wissen, wie reich wir sind.“
„Ja, das ist wohl gut,“ antwortete die Frau, „aber kannst du den zählen?“
„Nein,“ erwiderte der Mann, „das kann ich nicht!“
„Ja und ich kann es auch nicht!“ sagte die Frau.
Da war dann nun guter Rat teuer und sie standen alle beide da und schauten ihre Haufen Geld mit recht verlegenen Gesichtern an.
„Höre, Frau,“ sprach der Mann endlich, „wissen muss ich, wie reich wir sind und da wir alle beide nicht zählen können, will ich hinüber gehen zu unserem reichen Nachbar und mir dessen Metze borgen. Sechzehn Metzen machen einen Scheffel und wenn wir alles gemessen haben, wissen wir doch, wie viel Scheffel Gold und Silber wir haben.“
„Ja, Mann, das ist wahr,“ sagte die Frau. „Geh´ nur hin und hole die Metze herbei.“
Und der Mann ging, brachte kurze Zeit darauf die Metze und maß all´ sein Geld. Da sah er dann, dass er drei Scheffel Taler und anderthalb Scheffel Goldstücke besaß und meinte nun, das sei für seine ganze Lebenszeit genug und er wolle nun nicht mehr in die Dummburg hinauf gehen um noch mehr zu holen. Und darin stimmte ihm seine Frau bei.
Als nun der Holzfäller die Metze wieder zum Nachbar hinübertrug, bemerkte er nicht, dass in einer Spalte derselben ein Silberstück hängengeblieben war. Der Nachbar aber, ein geiziger, betrügerischer Mann, sah den Taler und wunderte sich über den Fund nicht wenig.
„Was zum Henker,“ dachte er, „wie kommt mein Nachbar, der lumpige Holzfäller, dazu, harte Taler mit der Metze zu messen? Der muss einen Schatz gefunden oder irgend einen reichen Mann bestohlen haben! Aber nur Geduld, ich will das Geheimnis bald heraus haben.
Tags darauf steckte der reiche Geizhals den gefundenen Taler in seine Tasche, ging hinüber zum Holzfäller und hörte von dessen Frau, dass er in den Wald hinaus gegangen sei. Diese Nachricht war ihm ganz willkommen, „denn,“ dachte er, „dort habe ich ihn allein und kann ihn allenfalls mit Gewalt zum Reden zwingen, wenn er sich etwa in Güte nicht fügen will.“ Schnurstracks eilte er in den Wald hinaus und hatte den Holzfäller bald aufgefunden.
„He, Nachbar,“ sagte er zu ihm mit einem falschen Lächeln, „was habt Ihr denn eigentlich mit meiner Metze gemessen? – Das möchte ich gerne erfahren.“
Der Holzfäller war ein grundehrlicher Mann und an das Lügen nicht gewohnt. Darum wurde er auch ganz rot und verlegen, als er stotternd zur Antwort gab, er habe mit der Metze Hamsterkorn, Holzsamen und dergleichen gemessen.
„So! Hamsterkorn habt ihr gemessen?“ fragte der reiche Nachbar höhnisch, indem er zugleich in seine Tasche griff und den Taler hervorzog. „Ist das etwa Hamsterkorn? – He? – Nur heraus mit der Sprache! – Wenn Ihr mir nicht die Wahrheit gesteht, so gehe ich auf´s Gericht und zeige an, dass Ihr gestohlen habt. Also nur nicht lange gefackelt!“
Der Holzfäller war äußerst bestürzt, als er ich halb und halb verraten sah und die Drohungen des boshaften Nachbars hörte. Dennoch wollte er sein Geheimnis nicht verraten und verlegte sich noch lange auf´s lügen. Das konnte ihm aber alles nichts helfen, denn sein Nachbar war viel zu schlau und wusste ihn durch Kreuz- und Querfragen nur zu bald in Widersprüche zu verwickelnt, dass er endlich haarklein alles beichtete und dem Nachbar auferlegte, ja keiner andern menschlichen Seele etwas von dem Geheimnisse zu entdecken.
„Ei, davor werde ich mich hüten,“ sprach der Geizhals, der innerlich über die angenehme Nachricht von den großen Schätzen frohlockte. „Ein rechter Esel müsste ich sein, wenn ich irgend einem Menschen nur ein Sterbenswörtchen verriete. Nicht einmal meinem Bruder, wenn ich einen hätte, würde ich etwas von dem Gewölbe sagen. Nein, nein, guter Freund, die Taler und Goldstücke und Edelsteine können wir selber gebrauchen. Denn ich hoffe, Du wirst mit mir teilen, Kamerad!“
„Ach, ich habe für meine ganze Lebenszeit genug und überlasse Euch gern, was noch in dem Gewölbe ist, Herr Nachbar,“ erwiderte der Holzfäller. „Mich bringen keine zwei Pferde mehr auf die Dummburg hinauf.“
„Ja, ein Mal müsst Ihr schon noch mit, um mir die eiserne Türe zu zeigen,“ sagte der Nachbar. „Heute freilich ist es zu spät, aber morgen mit dem frühesten müsst ihr bei der Hand sein. Ich räume das ganze Gewölbe aus.“
„Herr, bleibt lieber davon,“ warnte der Holzfäller. „Seht, ich will Euch gerne die Hälfte meines Reichtums abgeben, nur damit Ihr euch nicht in Gefahr stürzen sollt. Ich fürchte, ich fürchte, der Burggeist nimmt es übel auf, wenn man ihm alle seine Schätze entreißen will!“
Der brave Holzfälle hatte gut warnen! Sein Nachbar hörte nicht auf seine Worte und dachte an nichts, als an die gefüllten Fässer, Säcke und Kisten, deren reicher Inhalt ihm lockend vor den Augen schwebte. Durch Drohungen und Versprechungen überredete er den Holzfäller, ihn morgens zu der eisernen Pforte zu geleiten und verließ ihn erst, nachdem er einen Schwur getan, dass er nicht vergebens auf sich waren lassen wolle. –
„Du sollst,“ sagte er zu ihm, „nichts weiter zu tun haben, als nur die Säcke in Empfang zu nehmen, die ich selber aus dem Gewölbe herausschleppen und bis an die Tür tragen will. Dafür sollt Du von dem ganzen Reichtum die Hälfte und die Kirche den Zehnten haben und überdies verspreche ich Dir, alle armen Leute im Dorfe neu zu kleiden vom Kopfe bis zu den Füßen. Damit tun wir ein gottesfürchtiges Werk und es ist doch gewiss besser, mit den großen Schätzen Gutes zu wirken, als sie nutzlos im Innern des Berges vermodern zu lassen.“
So sprach der Geizhals und der Holzfäller glaubte dem Bösewicht, der ganz anders dachte, als er sagte, denn in seinem Herzen hatte er beschlossen, den Holzfäller, wenn er dessen Hilfe nicht mehr bedürfte, in den tiefen Brunnen auf dem Burghofe zu stürzen und alsdann weder den Armen, noch auch der Kirche nur einen Pfennig von allen gefundenen Reichtümern zu geben. –
Auf dem Heimwege machte der Schurke allerhand Entwürfe, wie er mit einem Male alle Schätze herausschaffen, dann das ganze Dorf kaufen und in Herrlichkeit und Freuden leben wolle bis an sein Ende. Zu Hause angelangt, säumte er nicht, die nötigen Schritte zur Ausführung seiner Entwürfe zu tun. Er suchte den größten Kornsack, den im Hause hatte, hervor, steckte in denselben zwanzig andere hinein, die ein wenig kleiner waren und meinte dann, dass diese Anzahl wohl hinreichen würde, den Inhalt des Gewölbes in sich aufzunehmen.
Kein Schlaf kam während dieser Nacht in seine Augen, denn die Habgier vergönnte ihm keine Ruhe und hielt den Schlummer von seinem Lager fern. Mit Ungeduld erwartete er den anbrechenden Morgen und sobald der erste Schimmer des Tages die Gipfel der Berge rötete, sprang er von seinem Lager auf, lud seine Säcke auf die Schulter, nahm eine Schaufel zur Hand, um die Säcke recht schnell füllen zu können und eilte zu seinem Nachbar, dem Holzfäller, hinüber, damit derselbe ihn ohne Verzug an Ort und Stelle geleiten möge. –
Der Holzfäller gehorchte dem Rufe des Geizhalses, obgleich nur mit Widerstreben. Unterwegs warnte er den Nachbar noch einmal ernstlich vor den Folgen seiner zügellosen Habgier, erreichte dadurch aber weiter nichts, als dass der Geizhals ihn fluchend Stillschweigen anbefahl. So schritt er den stumm und düster neben ihm her und suchte sich die finsteren Ahnungen aus dem Sinne zu schlagen, die unaufhörlich in seiner Seele aufstiegen. –
Nach einer kurzen Wanderung gelangten sie an den Fuß des Berges, stiegen die Höhe hinauf und standen nun vor der geheimnisvollen Pforte. Hastig stürzte der habgierige Wucherer darauf zu; er Holzfäller aber hielt sich in einiger Entfernung, fest entschlossen, unter keine Bedingung noch einmal das Gewölbe zu betreten.
„Türlein, öffne dich!“ schrie der Wucherer mit einer Stimme, die vor Habgier zitterte. Und als die Tür, gehorsam dem Befehle, aufging, eilte er mit raschen Schritten in den engen düsteren Gang hinein und hatte die Säcke nicht vergessen, in welche er alle Reichtümer, die er erwartete, schütten wollte. Im Innern des Gewölbes angelangt, schrie er: „Türlein, schließe dich!“ und nun stand er, von den Schätzen umgeben, nach denen sein Herz begehrte, einsam und allein im Innern des Berges.
Mit einem hastigen Blick maß er die Fässer und Säcke und Kasten voll Gold, Silber und Edelgestein und schien alles mit den Augen verschlingen zu wollen; dann aber raffte er sich zusammen, riss mit bebender Hand die zwanzig Säcke aus dem großen Sacke heraus und ging ans Werk, sie hastig zu füllen.
Da kam langsamen Schrittes aus der Tiefe der Höhle ein großer schwarzer Hund mit feurigen, glutfunkelnden Augen hervor, ging dreimal in dem Gewölbe auf und ab und legte sich dann abwechselnd auf jeden gefüllten Sack und auf all´ das viele Geld. Und plötzlich, während er dem Wucherer einen finsteren Blick zuwarf, schrie er mit dumpfheulender Stimme: „Weiche von hinnen, elender Geizhals!“
Der Elende erschrak und entsetzte sich so sehr, dass ihm alle Säcke aus den Händen fielen und er selber in die Knie niedersank. Auf allen Vieren rutsche er der eisernen Pforte zu, in der Absicht, „Türlein, öffne dich!“ zu rufen, um ins Freie hinaus gelangen zu können. Das Entsetzen hatte ihm aber so sehr den Kopf verwirrt, dass er selbst nicht wusste, was er sagte und in eins fort „Türlein, schließe dich!“ schrie. Natürlich blieb nun die Pforte verschlossen, obgleich der Wucherer in seiner Todesangst sie mit den Nägeln aufreißen zu wollen schien.
Während dies im Innern des Gewölbes vorging, lauerte der Holzfäller draußen mit pochendem Herzen auf den Ausgang des Abenteuers. Aber lange, lange blieb es totenstill und er hörte nichts, als den Gesang der Vögel und das leise Rauschen des Windes in den Blättern der Bäume. Auf einmal aber fuhr er zusammen! Es schien ihm, als habe er ein jammervolles Ächzen und Winseln und gleich darauf ein dumpfes Hundegeheul vernommen. Wenige Augenblicke später war alles wieder still.
Eine Ahnung, als ob im Innern des Gewölbes ein großes Unglück geschehen sein müsse, kam über den Holzfäller, also dass ihm vor Furcht die Glieder zitterten und seine Zähne klappernd zusammenschlugen, wie Frost. Schon wendete er den Fuß zu Flucht; doch noch zu rechter Zeit besann er sich eines anderen und war entschlossen, sich wenigstens über das Ende seines wucherischen Nachbarn Gewissheit zu verschaffen. Erst betete er leise ein Stoßgebetlein; dann rief er, obwohl schwach und bebend: „Türlein, öffne dich!“ und nun sah er mit Entsetzen den blutenden Körper seines bösen Nachbars, der lang ausgestreckt auf seinen Säcken lag. Er wollte hineinstürzen, um ihn herauszuholen; aber noch ehe er diesen Entschluss auszuführen vermochte, sanken die Fässer und Säcke und Kasten mit allen Kostbarkeiten, die sie enthielten, vor seinen Augen langsam in die Tiefe hinab, die Tür fuhr mit einem Krachen zu und niemals hat wieder jemand weder von den Schätzen, noch von dem Gewölbe die geringste Spur gesehen.
Der Holzfäller lief bleich und zitternd nach Hause, dankte Gott für seinen genügsamen Sinn und kaufte sich später von seinen Reichtümern viele Landgüter, so dass jedes seiner Kinder eines erhielt. Dort lebten sie lange glücklich und zufrieden, und nun ist die Geschichte aus.