Das Rosmarinsträuchlein

Das Rosmarinsträuchlein ist ein italienisches Märchen.

Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten kein Kind, wünschten sich aber eins. Wie nun die Königin eines Tages im Garten lustwandelte, sah sie einen Rosmarinstrauch, der viele kleine Schösslinge hatte. Da seufzte sie und sprach:

„Ach, der Rosmarinstrauch hat seine Sprossen und ich, die Königin, habe kein Kind.“

Von der Zeit an ward sie guter Hoffnung und wie ihre Zeit kam, gebar sie ein Rosmarinsträuchlein. Dies pflanzte sie in ein Töpflein, begoss es mit Milch und lies es nimmer aus den Augen.

Einst besuchte sie ihr Neffe, das war der Sohn des Königs von Spanien. Wie der das Sträuchlein sieht, fragt er:

„Frau Königin, was ist es doch mit diesem Rosmarinsträuchlein?“

Sie erzählte ihm ihre Geschichte, wie sie das Pflänzlein geboren und es einmal des Tages mit Milch begieße. Da denkt der Jüngling bei sich:

„Das Pflänzlein must du haben.“

Er kauft also eine schöne Vase auf sein Schiff, schafft auch eine Ziege der Milch wegen herbei. Wie alles bereitet ist, entwendet er das Sträuchlein aus dem Zimmer der Königin und führt es mit sich fort. Zu Hause angekommen, stellt er die Pflanze in sein Gewächshaus.

Nun hatte der König eine Flöte und auf dieser blies er in den frohen Stunden des Tages. Als er eines Tages so blies, tat sich die Tür auf und ein schönes Fräulein stand auf der Schwelle. Er fragte sie:

„Wer bist du und woher kommst du?“

Sie antwortete: „Ich bin die Rosamarina.“

Wie freute sich der König. Als sie fort war und er kaum eine freie Stunde hatte, ging er in sein Treibhaus, blies auf der Flöte und da war schon das Fräulein wieder. Es war seine Freude, mit ihr zu sprechen und sie zu hören.

Als er so recht im Glücke war, musste er in den Krieg. Beim Scheiden sagte er seiner Rosamarina:

„Höre, meine geliebte Rosamarina, wenn ich aus dem Kriege zurückgekehrt bin, werde ich dreimal auf der Flöte blasen. Das sei dir ein Zeichen, dass du wieder herauskommen darfst.“

Und dem Gärtner befahl er, das Rosmarinsträuchlein viermal des Tages mit Milch zu begießen. Würde er es bei der Rückkehr verwelkt finden, so solle ihm der Kopf abgehauen werden. Er legte die Flöte in sein Zimmer und zog davon.

Der König hatte drei Schwestern. Die waren neugierig und sagten:

„Was macht doch wohl unser Bruder mit der Flöte?“

Die Älteste nimmt sie und bläst darauf, dann nimmt sie die Mittlere und ebenso die Jüngste. Beim dritten Blasen erscheint das Fräulein. Da rufen sie:

„Also deshalb war unser Bruder Stunden und Stunden lang in dem Treibhause und wollte nichts mehr von uns wissen?“

Sie nahmen das arme Fräulein und schlugen es so jämmerlich, dass es mehr tot als lebendig sich zum Rosmarinsträuchlein zurückschleppte und darinnen verschwand. Der Gärtner kommt und findet den Rosmarin des Königs verwelkt. Da jammert er:

„Wehe mir, wenn jetzt der König zurückkommt, wie wir es mir ergehen!“

Er ruft seine Frau, befiehlt ihr, das Sträuchlein viermal täglich mit Milch zu begießen und macht sich auf und davon.

Ohne zu wissen, wohin, schweift er durch das weite Land und wie es Abend wird, findet er sich in einem Walde. Er sieht einen hohen Baum und aus Furcht vor wilden Tieren ersteigt er diesen, die Nacht darauf zu verbringen.

Um Mitternacht kommen ein Hexenmeister und eine Hexe, legen sich unter dem Baume nieder und fangen an zu schnaufen, dass es dem Gärtner ganz bange wurde. Dann fingen sie ein Gespräch an und die Hexe sagte:

„Was gibt es Neues?“

„Was es Neues gibt? Das Neueste ist, dass des Königs Gärtner in Lebensgefahr schwebt.“

„Und wie das?“ fragte die Hexe weiter.

„Das ist eine lange Geschichte. Du musst wissen, das der König seiner Tante des Rosmarinsträuchlein entführte, in welchen ein verzaubertes Fräulein wohnt. Der König stellte die Pflanze in sein Treibhaus und begoss sie viermal des Tages mit frischer Milch. Wenn er dann auf der Flöte blies, so kam das Fräulein heraus und sie redeten miteinander. Jetzt ist er in den Krieg, hatte aber die Flöte zurückgelassen. Seine Schwestern bliesen darauf und als das Fräulein erschien, haben sie es so zerschlagen, dass der Rosmarin, in den es zurückgekehrt, verwelken musste. Der Gärtner aber, dem der König die Pflanze aufs Herz gebunden hatte, ist aus Furcht vor der Strafe geflohen.“

„Gibt es denn“, fragte die Hexe aufs neue, „gar kein Mittel, die Pflanze zu retten?“

„Es gäbe schon eins“, antwortete der Hexenmeister, „aber ich kann es dir nicht sagen, denn der Rasen hat Augen und die Bäume haben Ohren.“

„Ach was“, sagte die Hexe, „hier ist niemand, der uns hört.“

„Nun, so wisse denn, wenn jemand das Blut meiner Adern und das Fett deines Hinterkopfes in einem Topfe zusammen sieden und die Rosmarinpflanze damit bestreichen würde, so käme das Fräulein gesund und munter aus der Pflanze heraus.“

Der Gärtner auf dem Baume hatte alles mit angehört und dachte bei sich:“

„Jetzt, Glück, steh´ mir bei!“

Wie die beiden eingeschlafen waren, stieg er leise vom Baume herunter, nahm einen Knüppel und schlug sie tot. Dann nimmt er Blut und Fett, läuft nach Hause, siedet es, bestreicht die Pflanze und wie er fertig, kommt das Fräulein heraus und das Rosmarinsträuchlein verdorrt. Der Gärtner nimmt die Schöne auf seine Arme wie ein Kind und trägt sie in seine Wohnung. Er gibt ihr kräftige Brühen und heilkräftige Kräuter und stellt sie alsbald wieder her.

Der König kommt aus dem Kriege zurück und sein erster Gang ist ins Treibhaus. Er bläst dreimal auf der Flöte, aber da kommt kein Fräulein. Er geht zum Rosmarinsträuchlein und findet es verdorrt. Er ruft den Gärtner und im hellen Zorne spricht er:

„Jetzt sagst du mir, wo meine Rosmarina ist oder ich schlage dir auf der Stelle den Kopf ab.“

Er bittet den König, zuvor in sein Haus zu kommen, allwo er ihm etwas Schönes zeigen wolle. Der König ging mit ihm und findet Rosmarina, die schönen Augen voller Tränen, auf dem Lager liegend. Er fragt sie:

„Rosmarina, was ist dir geschehen?“

Sie antwortet: „Deine Schwestern haben mir es angetan, ich wäre ihren Misshandlungen erlegen, wenn mich dein Gärtner nicht durch eine Salbe errettet hätte. Ihm verdank´ ich mein Leben.“

Da warf er einen Hass auf die bösen Schwestern, dem Gärtner aber wendete er alle Gnade zu. Als Rosmarina völlig genesen war, bat sie der König, seine Gemahlin zu werden. Darauf schrieb er seinem Onkel einen Brief, worin geschrieben stand, dass jenes Rosmarinsträuchlein ein Jungfräulein geworden, welches gar lieblich anzuschauen und aller Liebe wert wäre.

„Wollet Ihr“, so schloss er, „mit der Königin zu Hochzeit kommen, so seid ihr uns lieb. Wir werden demnächst die Ringe wechseln.“

Der Herold reiste ab und brachte dem Könige die Kunde, wie freute der sich, wie freute sich auch die Gemahlin, endlich eine Tochter gefunden zu haben. Ganz glücklich traten sie die Reise an. Als sie an Ort und Stelle waren, da schoss man mit den Kanonen.

Wer das hörte, fragte: „Wer kommt da?“

Und da hieß es überall: „Der König und die Königin!“

Sie fanden die Tochter im Glücke und sie, die ihren Vater und ihre Mutter zum ersten Mal sah, erfreute sich ihrer Küsse und Umarmungen. Die Hochzeit wurde gehalten und gab denn durch ganz Spanien ein großes Fest.

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Nacherzählt von Waldemar Kaden
Quelle: Süditalische Volksmärchen, J. A. Brockhaus, 1880