Die weiße Zwiebel

Die weiße Zwiebel

Ein reicher Vater, Herr vieler vieler Güter, war am Sterben. In der letzten Stunde rief er seinen einzigen Sohn, den er über alles geliebt hatte und sprach zu ihm: „Mein teurer Sohn, mit mir geht es zu Ende. Alles, was ich besessen, ist jetzt dein, genieße es in Frieden. Aber höre eine Warnung: Hüte dich vor der weißen Zwiebel.“ Dies gesagt, starb er.

Der Jüngling hatte viele Freunde und gar oft wanderten sie zusammen durch die Straßen. Auf diesem Gange erblickte er eines Tags einen Bauern, der einen mit Zwiebeln beladenen Esel vor sich hertrieb. Kaum sah er die Zwiebel, so gedachte er an die Warnung seines Vaters. Die Angst trieb ihn, schleunigst davonzulaufen.

Die Freunde blieben voll Verwunderung zurück und wussten nicht, wie sich die Sache deuten sollten. Dasselbe wiederholte sich noch einmal mit anderen Gefährten. Auch sie fanden keine Erklärung und suchten darum den Jüngling auf, ihn zu befragen, da sie selbst sich beleidigt fühlten. Er entschuldigte sich jedoch und erzählte ihn von der Warnung seines Vaters und wie er sich vor der weißen Zwiebel zu hüten habe. „So ist es besser“, schloss er, „ich laufe davon, wenn ich weiße Zwiebeln sehen.“

Die Freunde wollten vor Lachen bersten und sagten: „Du bist ein Narr! Denn wisse, diese weiße Zwiebel ist nicht die des Gärtners, sondern ein schönes Weib, das die Männer, welche um sie werben, zum Spiele verlockt und sich selbst als Preis des Spieles aussetzt, die Toren aber, die darauf eingehen, nur ausbeutet und dann ins Pfefferland schickt, denn gewonnen hat noch keiner. Sie aber ist so reich geworden, dass sie nicht weiß, wohin mit allem Reichtum.“ So erzählten die Freunde und fortan dachte der arme Knabe an nichts mehr als an die weiße Zwiebel und nahm sich vor, sie aufzusuchen.

Der Gedanke war immer mächtiger geworden und eines Tages hat er ihr einen Besuch gemacht. Wie er vor ihr stand, sagte er: „Schöne Frau, da bin ich endlich! Aus Liebe zu Euch, habe ich nicht mehr geschlafen und gewiss würde ich verrückte geworden sein.“ Sie lud ihn mit höfischen Manieren zu sich ein und sagte: „Kommt nur, esst und trinkt zuvor, wenn ihr mich dann im Spiele besiegt, bin ich Eure Braut, wenn nicht… nun wir werden sehen.“

Sie aßen, tranken, darauf traten sie an den Tisch, zu spielen. Wer aber verlor und immer verlor, war der törichte Knabe. Er verlor, bis alles dahin war. Wie seine Taschen leer standen, sagte die Schöne ruhig: „So, Freund, jetzt könnt Ihr gehen.“ Er stand und blickte in ihre schönen Augen, sah die zierlich Gestalt an, aber gehen musste er. Er eile nach Hause, füllte sich die Tasche aufs neue und war wieder da, denn er wollte sie durchaus zur Frau gewinnen.

Wieder empfing sie ihn mit höfischen Manieren und bald auch saßen sie beim Spiele. Aber so viel Geld er immer hervorzog, alles gewann sie, bis er ohne einen Heller stand. Da sagte sie zu ihm: „Nun haltet nimmermehr um meine Hand an, denn Ihr habt verloren. Geht nur immer nach Hause.“

Verzweifelt geht er fort und läuft aufs freie Feld hinaus und jammert: „Alles ist dahin. Ich soll sie nicht haben und doch muss sie mein werden. Welch trauriges Geschick! Ach, Seele meiner Mutter, hilf mir. Jetzt verkaufe ich das letzte Gut. Gewinne ich sie mit dem nicht, so mag ich nicht mehr leben.“

Wie er so bekümmert dahinschritt, hörte er eine Stimme: „Joseph, Joseph, was hast du? Lass die Tränen!“ Er wendet sich und erblickt einen Mann, der tröstet ihn und spricht: „Verzweifle nicht, ich kann dir helfen. Erzähle mir nur deine Geschichte!“ Er erzählte und jener antwortete: „Verkaufe also das Gut und gehe aufs neue zu der Schönen, du wirst gewinnen. Höre nur, was du tun musst. Dieses Weib hat einen Ring, welchen sie beim Spiel abzieht und unter den Tisch legt. Dieser Ring ist verzaubert und du musst suchen, ihn an deinen Finger zu bringen. Es wird dir ein Leichtes sein, wenn du, einen Schmerz am Fuße heuchelnd, dich bückst und ihn bei dieser Gelegenheit an den Finger steckst. Fahre dann ohne Sorge fort zu spielen. Denn mit dem Ringe hältst du auch das Glück, wirst gewinnen und gewinnen, bis die weiße Zwiebel nichts mehr besitzt.“

Der Jüngling verkaufte das Gut und ging mit dem Gelde zur Schönen. Sie war gar holdselig zu ihm und er erfreute sich ihrer großen Höflichkeiten. Nachdem sie gespeist hatten, forderte sie den Jüngling zum Spiele auf. Er verfolgte sie indessen mit den Augen und bemerkte wohl, wie sie in einem Augenblick den Ring abstreifte und unter den Tisch warf. So beginnt das Spiel.

Joseph lässt sie einige Mal gewinnen, dann aber stieß er plötzlich einen Schrei aus, als ob er einen heftigen Schmerz am Fuße empfinde, bückt sich, fasst den Ring und steckt ihn unbemerkt an den Finger. Jetzt wendete sich das Blättchen mit einem mal: so lange sie auch spielten, sie konnte nicht ein Spiel mehr gewinnen und zuletzt hatte sie alle ihre Habe verloren. Da erhob sie sich und sprach „Ihr seid mein Mann! Niemand vermochte es und ich bin Euer!“

So wurden Joseph und die weiße Zwiebel ein Paar und lebten glücklich und zufrieden bis an ihre Ende.

Zufrieden und glücklich lebt ihr,
Das Zusehn haben wir.

Nacherzählt von Waldemar Kaden
Quelle: Süditalische Volksmärchen, J. A. Brockhaus, 1880