Die Flachsknoten der Frau Holle

Die Flachsknoten der Frau Holle – eine Sage nach Adalbert Kuhn:

Eine Zeit lang hat es einmal in der Gegend des Kyffhäusers fortwährend geregnet. Der Schäfer eines der benachbarten Dörfer, der seine Herde auf dem Berge geweidet, hat aber jedesmal, wenn er auf denselben gekommen, dort das schönste Wetter gefunden, ja die Sonne hat sogar so warm geschienen, daß Frau Holle aus dem Berge gekommen ist und einen großen Haufen Flachsknoten ausgebreitet hat, um ihn zu trocknen. Wie er abends wieder heimgetrieben hat und am Fuße des Berges gewesen ist, hat’s grade wieder so geregnet wie vorher, und so ist’s viele Tage fortgegangen.

Da hat er’s denn vielen Leuten im Dorfe erzählt, daß es hier bei ihnen fortwährend regne, dagegen auf dem Kyffhäuser das schönste Wetter sei, allein sie haben’s ihm nicht glauben wollen, obgleich er es ihnen hoch uud teuer versicherte, und haben zuletzt gesagt, dann solle er doch einmal ein paar Hände Flachsknoten mitbringen, damit sie es glauben könnten. Das hat er auch versprochen, und wie er an den Berg kommt, ist alles wie an den früheren Tagen gewesen und er hat Frau Holle gebeten, sie möge ihm doch erlauben, daß er ein paar Hände voll trockener Flachsknoten mitnehme, damit er die daheim überzeuge, was hier für Wetter sei. Da sagte sie, das wolle sie gern erlauben, er solle nur zugreifen und sich alle Taschen vollstecken; das hat er denn auch gethan, und als er nach Haufe gekommen ist, sind die Flachsknoten lauteres Gold gewesen.


Quelle: Deutscher Sagenschatz, herausgegeben von Dr. J. W. Otto Richter, Verlag von Otto Mähnert, Eisleben, 1877