Burg Eppenstein ist eine mündlich überlieferte Sage, gesammelt von D. Aloys Schreiber.
Das Märchen: Burg Eppenstein
Am Taunusgebirge sind vier liebliche Täler, die der Frühling jedes Jahr mit den schönsten Blumen und Pflanzen beschenkt. Zwischen diesen Tälern liegt auf einem Berg das alte Schloss Eppenstein, in Öde und Trauer. Es wurde vor undenklicher Zeit von einem Ritter, E p p o mit Namen, erbaut.
Dieser verirrte sich einst auf der Jagd hierher. Damals war aber die Gegend sehr wild und schauerlich. Eppo warf sich, ermüdet, am Fuße des Bergs, bei einem Felsenbrünnlein ins Grüne.
Nachdem er eine Weile gerastet hatte, erhob er sich wieder und wollte den Heimweg suchen. Aber in diesem Augenblicke hörte er den Gesang einer weiblichen Stimme. Das Lied war traurig und die Stimme schien aus dem Berge zu kommen.
Der Ritter arbeitete sich durch das Gestrüpp, ob er vielleicht einen Pfad auf den Berg entdecken möchte. Da auf einmal stand er vor einer Felsenhöhle und am Eingange derselben saß eine Jungfrau von wunderschöner Gestalt. Sie hatte das traurige Lied gesungen und weinte jetzt bittere Tränen und trocknete sich die blühende Wange mit den langen, braunen Locken, die um ihre Schultern hingen. Als sie den Ritter erblickte, streckte sie die Arme nach ihm aus und bat, mit leiser, zitternder Stimme, sie zu retten.
Eppo fragte nach ihrer Herkunft und wie sie in diese Wildnis geraten sei.
„Ich kann Euch mein Unglück nur mit wenigen Worten erzählen, antwortete die Jungfrau, denn bald ist die Stunde wieder vorüber, während welcher ein tiefer Schlaf meinen Verfolger gebunden hält. Ich heiße B e r t h a und bin dort drüben auf der Burg Brenntal geboren. Der Riese, der auf diesem Berge haust, erschlug meinen Vater und meine Brüder. Er führte mich als seine Gefangene hierher und quält mich mit seiner Liebe. Oft hat er gegen mich Gewalt brauchen wollen. Aber wenn ich dann laut zu beten anfange, so weicht sichtbar jede Kraft von ihm und er ist außer Stande, mir ein Leid zu tun. Täglich, in der Mittagstunde, bewältigt ihn ein Schlummer, aus welchem kein Mensch ihn zu wecken vermag. In diesen Augenblick ist er davon befallen und liegt oben auf der Bergkuppe.“
„Ich will den Unhold in die Hölle senden“, rief Eppo und zog sein Schwert.
„Ach,“ erwiderte die Jungfrau, „den Riesen verletzt kein Eisen.“
„So will ich ihn den Berg hinabstürzen.“
„Auch das ist jetzt unmöglich. So lang er schläft, können tausend Hände ihn nicht von der Stelle bewegen.“
Der Ritter tat ihr den Vorschlag, mit ihm zu entfliehen.
„Sehr Ihr denn nicht, dass ich gefesselt bin,“ sagte Bertha und zeigte auf die Kette an ihrem Fuß. „So oft die Stunde seines Schlafs naht und so oft er auf Menschenblut ausgeht, schließt er mich am Eingang dieser Höhle an.“
„Ich will, ich muss Euch befreien, schöne Jungfrau,“ rief der Ritter aus, „und wenn es mein Leben kosten sollte.“
Bertha sah ihn mit einem dankbaren Blick an und sagte: „Wenn Ihr das wollt, so geht hinüber auf die Burg meines Vaters. Lasst Euch vom alten Burgvogt das eiserne Netz geben, welches mein Vater, als ein Wahrzeichen, aus Palästina mitgebracht. Es ist mit wunderbarer Kunst verfertigt und darin wollen wir den Unhold fangen.“
Sie nahm noch weitere Abrede mit Eppo, der auch ohne Verzug auf die Burg Bremthal ging und das Netz abholte und sich damit am andern Morgen auf dem Platz einfand, den ihm Bertha angegeben hatte. Er mochte eine Stunde lang im Gebüsch gewartet haben, als sie ihm aus dem Gitter der Felsenhöhle zurief: „Es ist ein günstiger Augenblick, den Gott gesendet. Der Riese sitzt an der Seite des Bergs und schneidet sich eine Querpfeife. Gibt mir geschwinde das Netz und harrt hier, bis ich wieder rufe.“
Der Ritter reichte ihr das Netz durch das Gitter, denn es war fügsam zu jeder Gestalt und Bertha eilte damit auf die Höhe des Bergs. Sie breitete es aus auf der Erde, wo der Riese zu schlafen pflegte . Dann bedeckte sie es sorgfältig mit Moos und streute über das Moos viele wilde Blumen, die da umher blühten.
Die Mittagstunde kam heran. Der Riese nahte sich, halb schlaftrunken, dem duftenden Bette und freute sich ob der Sorgfalt, welche seine schöne Gefangene ihm bewiesen. Über der Freude vergaß er diesemal auch sie anzuketten und warf sich taumelnd auf das Lager. Kaum hatte der Schlaf ihn bewältigt, als Bertha das Netz über ihm zuzog und den Ritter herbei rief. Eppo hatte Mühe, den Berg hinan zu kommen, denn der einzige gangbare Weg führte durch die verschlossene Höhle. Alles ringsum war eine fast undurchdringlich Wildniss.
Endlich gelang es ihm doch, sich auf die Höhe hinanzuarbeiten. Die Jungfrau trat ihm, züchtig errötend, entgegen und bat ihn, sie nun nach ihrer Burg zu geleiten.
„Das will ich gern,“ antwortete Eppo, „aber ihr seid dort nicht sicher vor dem Riesen, dem es am Ende doch gelingen wird, das Netz zu durchbrechen. Kein Mensch in der Gegend ist vor ihm sicher, darum muss er erst aus der Welt geschafft werden.“
Bertha seufzte, denn ihr war bange um den Ritter. Aber dieser führte sie sorglich den Berg hinab und hieß sie dort seiner warten und kehrte dann auf den Gipfel zurück. Er versuchte es einige Male, den Riesen, der am Abhang eines Felsens lag, hinabzuwälzen. Aber jede Anstrengung war umsonst, der Unhold blieb unbeweglich.
Endlich schlug er die Augen auf und fing, als er sich umstrickt sah, so entsetzlich zu brüllen an, dass es weit durch die Wüste hin tönte. Er machte einen Versuch, sich aufzurichten, da nahm Eppo die Gelegenheit wahr und stieß ihn gegen den Rand des Felsens mit solcher Kraft,, dass das Ungetüm hinab kollerte. Aber die ungeheuren Gliedmaßen blieben, zerschmetter, am zackigen Gestein hängen und das Leben wollte lange nicht weichen aus dem gewaltigen Körper des Riesen.
Die Raubvögel kamen in Schwärmen herbei und letzten sich an seinem Blut und in ihr Gekreisch mischte sich das schreckliche Gewinsel des Sterbenden.
Eppo aber eilte den Berg hinab, zur Schönen Bertha und führte sie auf ihre Burg. Nach einigen Wochen wurde sie seine Hausfrau. Auf dem Berg, wo er sie gefunden, baute er ein Schloss und gab ihm den Namen Eppenstein. Dann ließ er die Gebeine des Riesen salmmeln und unter dem Torgewölbe der neuen Burg zum Wahrzeichen in Ketten aufhängen.
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Sagen aus den Gegenden des Rheins und des Schwarzwaldes
gesammelt von D. Aloys Schreiber
Akademische Kunst- und Verlagshandlung von J. Engelmann, Heidelberg, 1829